Das war unser spannender - und bilingualer - wegmarken.talk mit Andrea Rohrauer und Barbara
Schuster vom Verein Kinderhände. Mit dabei war Dolmetscherin Katharina Schalber.
Der Verein Kinderhände baut sprachliche Brücken
zwischen zwei Welten: die Welt der Gehörlosen und die Welt der Hörenden. Zwei
Welten, die viel gemeinsam haben und dennoch meist als getrennt wahrgenommen
werden. Die Südtirolerin Barbara Schuster und die Oberösterreicherin Andrea
Rohrauer haben sich entschlossen, einen Schritt zu setzen und bilingualen
Unterricht anzubieten. Willkommen sind alle: Kinder, Jugendliche, Erwachsene,
Hörende, Schwerhörige, Gehörlose…
Gesellschaftlicher Gegenwind und Rückenwind vom
Elternhaus
Irgendwo in einem
Dorf in Südtirol unterhalten sich zwei Mädchen angeregt am Friedhof. Als jemand
vorbeigeht halten sie sofort inne. Sie wollen keine fragenden und keine
abfälligen Blicke ernten – und vor allem kein Mitleid. Dass die Gebärdensprache
eine ganz normale Sprache mit Regeln und Grammatik ist, erfahren die beiden
selbst erst viel später. Eines der Mädchen ist Barbara Schuster, Co-Gründerin
und –Leiterin des Vereins Kinderhände. In einer Zeit, in der auch in Österreich
die Gebärdensprache noch nicht als offizielle Sprache anerkannt war (in der
Verfassung seit 2005), scheuten ihre Eltern keine Mühen, ihr eine Methode zu
Kommunikation zu schaffen. Stundenlang saßen sie und ihre ebenfalls gehörlose
Schwester mit der Mutter vor selbstgemachten Lehrbüchern und studierten eigene
einfache Gebärden.
„Ich wollte lernen, Matura machen und
studieren. Der Direktor meiner Mittelschule meinte zu meiner Mutter damals, ich
sei behindert und solle mir keine Hoffnungen machen, ein Gymnasium besuchen zu
können. Da war es aus für mich, ich wusste, dass ich aus Südtirol raus musste und
erfuhr, dass es in München eine staatlich anerkannte Real- und Fachoberschule für
Schwerhörige gab. Das Niveau war sehr hoch, es war schon schwierig, aber es tat
sich eine neue Welt für mich auf.“ Auch Jahre später bei der Suche nach einer
Akademie wurden Schuster die Türen vor der Nase zugeschlagen, bis sie schließlich in Innsbruck eine spannende Grafikausbildung fand. Dort lebte sie einige Jahre,
lernte und arbeitete als Grafikerin… doch sie war wieder nur unter Hörenden. „Irgendwann
zog es mich wieder in die Ferne, ich bewarb mich in verschiedenen Städten um
einen Ausbildung zur Webdesignerin – und landete in Wien.“
Zuerst ahnungslos, dann Botschafterin
Andrea Rohrauer,
Mitgründerin von Kinderhände, wächst ebenfalls in einem Dorf auf, allerdings in
Oberösterreich. Sie ist hörend und kann sich nicht erinnern, in ihrer Kindheit
und Jugend jemals mit Gebärdensprache konfrontiert worden zu sein – abgesehen
von der Synchronisation der Sonntags-ZIB, die damals noch im ORF übertragen
wurde. Eigentlich wollte Rohrauer Volksschullehrerin werden und ging nach der
Matura nach Wien zum Studieren.
„Als ich mit 21
Jahren mit dem Studium fertig war, wusste ich: das kann es nicht sein, dass ich
jetzt vierzig Jahre lang als Lehrerin arbeite. Da muss es noch mehr geben.“
Sie
entscheidet sich damals für einen anstrengenden Weg: ein individuelles Studium,
bei dem sie die Fächer Kultur- und Sozialanthropologie, Heil- und
Sonderpädagogik mit Spanisch, Türkisch und Gebärdensprache kombiniert. „Sprachen
haben mich schon immer interessiert, Gebärdensprache war etwas völlig Neues und
Unbekanntes für mich. Nach und nach habe ich mehr über das Leben von Gehörlosen
in Österreich erfahren und war überrascht, wie präsent Gebärdensprache doch
ist, wenn man hinsieht. Ich habe mich gefühlt wie ein Missionar, klärte ständig
alle in meinem Umfeld auf und stieß dabei immer auf das gleiche Unwissen.“ Nach
drei Semestern findet Rohrauer heraus, dass es ein Eltern-Kinder-Treffen in
einem Gehörlosenverein gibt. Dort lernen sich die beiden Frauen kennen und die
gemeinsame Geschichte beginnt.
© Verein Kinderhände |
Geburtsstunde: Kinderhände
A.R.: „Zuerst war
ich einfach froh, meine neue Sprache üben zu können. Aber schon nach dem ersten
oder zweiten Gespräch habe ich bemerkt, dass es nicht darum geht. Es war eine
echte Freundschaft die sich da entwickelt hat. Wir haben gemeinsam Kinder
unterrichtet und uns danach stundenlang unterhalten, wir haben über Gott und
die Welt gebärdet.“
B.S.: „Ja, wir
haben zum Beispiel ganz viel über Musik gesprochen. Ich kann mich erinnern,
dass wir manchmal bis vier Uhr in der Früh gesessen sind. Wir haben uns über
die Welt der Hörenden und die Welt der Gehörlosen unterhalten – Andrea kannte
ja auch beide Welten und hat sie auch verstanden – genauso wie umgekehrt.“
Aus der
Freundschaft entsteht eine Idee, daraus ein Plan und daraus wiederum im Jahr
2004 der Verein Kinderhände. Die beiden Frauen beschließen, dass sie die Welt
der gehörlosen und die Welt der Hörenden verbinden wollen. Damals gibt es kein
Angebot an bilingualen Kursen in Wien, doch die Nachfrage ist hoch. Schuster
erklärt, wie es zu den Kursen gekommen ist: „Es hat einfach perfekt gepasst.
Wir haben alle unsere Vorkenntnisse -
Andrea aus den Bereichen Pädagogik und Sprachen und ich aus den Bereichen Grafik
und Unterricht – in einen Topf geworfen und das, was wir machen hat sich daraus
ergeben. Alles hat zusammengepasst, wie Puzzleteile. Wir wollten einen Ort
schaffen, wo es um die Sprache geht und wo alle willkommen sind. Von
Gebärdensprache können alle profitieren: Gehörlose, Hörende, Schwerhörige,
Entwicklungsverzögerte, Kinder, Erwachsene, Menschen mit Down-Syndrom, Autisten
usw. Wir wollten also einen neutralen Ort bieten, wo das Lernen Spaß macht. Das
ist unser Fokus.“
A.R.: „Am Anfang
war das natürlich ein Chaos, aber wir haben schnell gelernt. Im ersten Semester
gab es einen Kurs, im zweiten schon vier. Die Nachfrage wuchs und wächst
ununterbrochen. Ich habe damals noch studiert und teilweise zwischen Uni und
U-Bahn noch Telefonberatungsgespräche geführt. Wir haben hunderte Formulare
ausgefüllt und Anträge gestellt – aber leider nie eine nennenswerte Förderung
erhalten. Zuschüsse und Kurskosten haben nur unsere Kosten gedeckt, aber
verdient haben wir dabei nichts. Wir hatten das riesige Glück, noch von unseren
Eltern unterstützt zu werden, doch nach dem Studium war das auch vorbei. Also
mussten wir das Projekt 2008 stilllegen, es war einfach kein Geld mehr da.“
© Verein Kinderhände |
Neustart, Ausbau, Hoffnung
und Hürden
Erst eine private
Förderung über einen Zeitraum von drei Jahren macht die Wiederaufnahme der
Aktivitäten im Jahr 2010 möglich. Seither hat der Verein Kinderhände eigene
Räumlichkeiten angemietet und insgesamt 14 Personen beschäftigt, Lernspiele
produziert und das Kursangebot ausgeweitet. Rund ein Drittel der Kursteilnehmer
ist Gehörlos, alle anderen sind Familienmitglieder, Freunde, oder einfach
andere Interessierte. Die Nachfrage wächst und die Betreiberinnen sprudeln vor
Ideen. Wenn die Förderungsperiode heuer ausläuft, stehen Andrea Rohrauer und
Barbara Schuster dennoch vor der gleichen Problematik wie vor acht Jahren.
Trotz der
finanziellen Ungewissheit wahren die beiden ihre Motivation und ihre Ziele. „Mein
Ziel ist es, innovativ zu bleiben und
immer neue Ideen zu denken. Dass wir in keinen Alltagstrott verfallen und nicht
alt werden“, sagt Rohrauer, lacht und fügt hinzu: „Wir würden gerne auch an
anderen Standorten Kurse anbieten, zum Beispiel in Linz. Das hängt aber ganz
klar von staatlicher Förderung ab.“ Auch Schuster muss lachen: „Manchmal frage
ich mich, ob wir eigentlich ein bisschen blöd sind. Wir arbeiten oft 60 Stunden
die Woche, können Kinderhände nur dank unserer anderen Jobs umsetzen und es ist
einfach nie genug Geld da. Trotzdem, wir haben unsere Ziele. Wir möchten den
Kindern Selbstbewusstsein geben und zeigen, dass sie ihre Sprache wählen können
– gebärden und/oder sprechen, wie sie wollen. Hier lernen sie zu gebärden und
lernen deutsch – beide Sprachen sind hier gleich wichtig und willkommen. Mein
persönlicher Traum ist es, auch in Südtirol und anderen Regionen Italiens eines
Tages mit Kinderhände aktiv zu werden und meiner Heimat etwas zurückzugeben.“