Montag, 28. September 2015

wegmarken.talk mit Florian Satzinger

Interview & Text: Angelika Golser und Angela Mader, FH Joanneum, Studiengang Journalismus & PR

Der Grazer Charakter Designer Florian Satzinger gewährt persönliche Einblicke in sein Leben, und auf den Menschen, der hinter den abenteuerlustigen Cartoonfiguren und fantastischen Welten steckt.
Jeder kennt und liebt sie. Trickfilm- und Cartoonfiguren wie Bugs Bunny oder Alice im Wunderland. Wer hat sich nicht schon einmal gefragt, welche Persönlichkeiten an der Entwicklung dieser Figuren beteiligt sind oder welche Berufsgruppe sich dahinter versteckt? Der Grazer Florian Satzinger ist Character Designer - und überaus erfolgreich. Seine Ausbildung absolvierte er in London und Vancouver, als Vortragender ist er weltweit gebucht.
Neben eigenen Charakteren zeichnete er auch für weltbekannte Medienkonzerne wie Disney und Warner Bros. 

Florian Satzinger - © Toons

Satzinger wurde 1970 in Graz geboren und besuchte dort auch die Volksschule. Zu Beginn seiner schulischen Laufbahn gab es noch keine besonderen Abzweigungen, die auf seinen späteren Lebensweg und auf seine Liebe zum Malen und Zeichnen hingedeutet haben. Satzinger hat in der Volksschule zwar schon gerne gemalt, aber wie er sagt:,,Nur auf die Weise, wie jemand der gerne zeichnet.” Im Nachhinein betrachtet beschreibt er das sogar als gut. ,,Ich glaube, das war gar nicht schlecht. In dem Alter ist man viel zu unausgereift, um sich früh zu spezialisieren.”
Nach der Volksschule führte Satzingers Weg in das Gymnasium Kirchengasse in Graz. Danach verlief Satzingers Weg zunächst unspektakulär. Nach und nach erwachte seine Leidenschaft für das Zeichnen von Figuren.
,,Ich habe herumstudiert, Germanistik und Kunstgeschichte. Parallel dazu habe ich zu liebäugeln angefangen, mit der Idee zu illustrieren.Ich habe nicht gewusst, in welche Richtung ich genau gehen will. Cartoonist, Illustrator oder Trickfilm. Der erste Berührungspunkt mit der Künstlerszene war, als ich für Werbeagenturen Illustrationen gemacht habe. Im Zuge dessen ist mein Interesse immer mehr und mehr aufgekommen, weg von der Gebrauchsgrafik hin zu einer narrativen Grafik zu gehen.”

Zu Beginn seiner Karriere war Satzinger noch fest in Österreich und Deutschland verankert. An internationale Informationen aus dem Animationsbereich zu gelangen war durch die fehlenden technischen Möglichkeiten schwierig. Dass es in Kanada Institute und Kunstunis mit einschlägiger Ausbildung gibt, erfuhr er nur durch Zufall dank eines von ihm abonnierten Magazins.
,,Es hat mich nach Kanada verschlagen, an das Institut der Medienkünste. Dort habe ich klassischen, handgezeichneten Animationsfilm studiert. Danach habe ich an der Middlesex University in London Malerei und Zeichnen studiert. Ich kenne beide Enden.”
Um das Zeichnen zu optimieren, war trotz vorhandenem Talent Übung notwendig.
,,Ich habe Zeichnen stark praktizieren müssen, damit etwas daraus wird. Ich habe gemerkt, dass sich mein Zeichengeschmack mit dem Alter verbessert. Man bekommt ein Gefühl dafür was geht und was nicht. Meine Animationen sind gereift, da ich selbst an Skills und persönlicher Entwicklung gewonnen habe.”
Seine ersten Erfahrungen sammelte Satzinger in seiner Arbeit für Warner Bros.
,,Dort habe ich für den deutschen Sprachraum Comics und Covers gemacht, wie Looney Tunes oder Pinky & Brain. Dort habe ich den ersten Eindruck bekommen, was es bedeutet mit lizenzierten Figuren zu arbeiten. Ganz bestimmte Vorgaben gibt es, z.B. welche Farbe die Zunge hat oder welches Verhältnisdie Ohren zum Kopf haben müssen. Das Gestalten ist keine Bastelstunde, sondern muss exakt sein. Dieser Job ist reines Industriedesign.”
Die Arbeiten erledigte er stets von seinem Zeichentisch in Graz aus. Satzingers weiterer Weg führte ihn neben Unternehmen wie Redbull (,,The Rookie Bulls”), Bahlsen (,,Autumnland” Chakaktere), SAT1 oder Ubisoft auch zum amerikanischen Medienriesen Disney, der für die Produktion von Zeichentrick- und Unterhaltungsfilmen für Kinder weltbekannt ist. Dort war Satzinger als Freelancer tätig. Er illustrierte die Figur des niederländischen Komponisten Hermann van Veen - „Alfred Jodokus Kwak“.
Parallel zu seinen Arbeiten für namhafte Designstudios hat Satzinger sein eigenes Büro eröffnet, da er nicht direkt vor Ort für Disney & Co gearbeitet hat.
,,Das Studio ist wie ein privates Atelier. Anfangs hieß es Satzinger & Hardenberg, jetzt Paperwalker Studios. Eine kreative Zelle und Ideenwerkstatt. Filme entstehen hier keine, denn dann müsste es ein großes Studio mit Angestellten sein. So ist es einfach der Ort, an dem Dinge visuell ausgedacht und formuliert werden.”
Satzingers Beruf ist ortsunabhängig. Zeichnen und Ideen entwickeln kann er an jedem Ort der Welt.
,,Die meisten Leute, mit denen ich zusammenarbeite, haben überhaupt keine Ahnung wo ich gerade bin. Wir kommunizieren in der Regel über Skype, E-Mails und hin und wieder trifft man sich zu einem persönlichen Gespräch.”
Seinen Arbeitsalltag beschreibt Satzinger als ,,relativ unspektakulär, von neun bis fünf”. In der ersten Stunde des Arbeitens versucht er warm zu werden mit den anstehenden Zeichnungen.
,,Mein Ritual hat eine gewisse Ähnlichkeit zum Sport, bei dem man sich vorher aufwärmt. Ich habe eine Reihe von Weblogs und Onlinejournalen, denen ich folge. Es ist gut, sich eine Bibliothek der Formen, Farben und Inhalte anzulegen, um meine Arbeit zu gestalten”, erklärt Satzinger.
Die ersten Comicfiguren, von regionaler Bedeutung hat Satzinger in seinen 20ern entwickelt. Auch weltbekannte Comicfiguren wie Donald Duck, Bugs Bunny und Duffy Duck gerieten unter seinen Stift. Die Entwicklung des Internets war für Satzingers Karrierefortschritt wesentlich.
,,In meinen 20ern habe ich einen deutschen Comicverlag besucht, der Interesse hatte. Doch um das Konzept einer Figur anzunehmen, hätte parallel dazu bereits eine Fernsehserie entwickelt werden müssen.” 

John Starduck - © Florian Satzinger
Satzinger erkannte, dass sich das Internet rasant entwickelte und tausende Menschen seiner Kreationen folgten. So konnte er seine Marke erschaffen, die einerseits seiner Arbeit für große Konzerne und andererseits auch seinen Eigenproduktionen Auftrieb verschafft haben. Da Satzinger seine Arbeitsprozesse dokumentierte, wurden sie unter amerikanischen Kunststudenten populär.
Satzinger gründete seinen eigenen Blog - ,,Paperwalker”. Die Internetseite entwickelte sich zu einem gefragten Designblog mit eingebundenen Medien entwickelt. Interessierte und Arbeitgeber können sich auf der Webseite über aktuelle Projekte und Werke bestens informieren.
,,Anfangs war der Blog statisch. Ich habe dann angefangen, kleine Einträge in Form eines News Journals zu machen. Bald ist mir der Platz ausgegangen. So habe ich einen Blog aufgebaut, damit mir die Leute organisiert folgen konnten, über Feeds”.
Satzinger wollte den Blog nicht nach sich selbst benennen. So schuf er ein international verständliches Wortbild: ,,Paperwalker”. Dem Charakter Designer gefiel das Bild, von einer Person, die auf dem Paper nicht nur zeichnet, sondern auch lebt. Laut Satzinger geben Personen eher den Namen seines Blogs in Suchmaschinen ein, um ihn im Internet zu finden.
In den USA ist Satzinger eine gefragte Persönlichkeit in den Bereichen des Animationsfilms und Comics. Die offen ausgelebte Fankultur beschränkt sich auf bestimmte Veranstaltungen der Branche.
,,Ich arbeite in einer kleiner Nische, die in den USA aber recht groß ist. Der durchschnittliche Konsument der meinen Figuren begegnet, interessiert sich nicht für den Menschen im Hintergrund. Wer aber involvierter ist, interessiert sich für das dahinter. Comics sind extrem in der Populärkultur verankert und salonfähig geworden, nicht nur bei den Nerds. Design- und Comic Conventions sind gigantisch groß in den USA. Wenn man eine Veranstaltung besucht, geht es einem schon wie ein kleiner Rockstar.”
Die Kreativbranche ist stark von Teamwork und Zeichenvorgaben geprägt, gemeinsame Fortschritte sind erwünscht. Auf Neider trifft man hier selten, da man sehr unabhängig arbeitet. Schattenseiten äußern sich im Beruf vor allem durch das Risiko des freiberuflichen Arbeitens.
,,Freiberuflich gibt es keine Sicherheitsgrenze, man trägt für alles selber Sorge und ist auf Unterstützung angewiesen. Entweder man arbeitet festangestellt in einem Studio und ist die Sorge los, regelmäßig sein Geld am Konto zu haben. Oder man sagt, es ist ein auf und ab, man macht mal viel, mal wieder gar nichts.”
,,Ich mag es, wenn Figuren keine Helden sind - das macht sie besonders!” 

Ausstellung im Kunsthaus Graz - © A. Golser
Bei der Entstehung von Figuren hat Satzinger seine eigenen Vorlieben. Seine Figuren sind keine Helden und trotzdem liebenswürdig und beliebt. Wichtig ist, dass die Figur Kontinuität besitzt und interessante Elemente aufweist.
,,Ich finde das Element des Schnabels bei Figuren anstelle von Mund und Nase total spannend. Orange Schnäbel zu zeichnen ist nett. (lacht) Was ich noch mag, ist, dass Donald und Duffy Duck keine Helden sind. Sie sind furchtbar grantige Personen und auf der Suche nach dem Glück. Aufgrund ihrer Schwächen werden diese Enten so lebendig.”
Wie genau entstehen Satzingers Figuren? Um authentische Figuren zu schaffen, spielen auch die Träume seiner Vergangenheit eine wichtige Rolle.

,,In der Regel versuche ich immer Orte und Figuren herzustellen. Es geht um den Spiel- und Träumeplatz. Der viel mit den Wünschen und Träumen zu tun, die ich als Kind hatte. Ich würde zum Beispiel alleine nur das Wunderland von Alice im Wunderland nicht mögen, aber in der Kombination damit, dass es die Realität gibt, mit der man in das Wunderland kommt gefällt mir das.”

Satzingers Ziel ist es, Orte zu erschaffen, die man selbst gerne besuchen würde - selbst wenn sie ,,gruselig” sind. Geschichten, von Jules Verne oder Lewis Carroll, in denen sich die Realität mit einer fiktionalen Welt verbindet, gefallen dem Künstler. Besonders der unendliche Glaube , dass die Maschinenkraft quasi alles überwinden kann, wie etwa zum Mond zu fliegen, fasziniert ihn.

Der Prozess des Erwachsenwerdens spiegelt sich auch stark in Satzingers Figuren wider. Hinsichtlich der Farbgestaltung und Strichsicherheit hat er sich stark verbessert.
,,Wenn es um Kreieren von Dingen geht, ist es wesentlich, viele Faktoren ins Spiel zu bringen. Reisen, Kunst, Lesen, Fernsehen, ins Kino gehen, Freunde besuchen, eine Familie haben – all diese Faktoren ragen in die Arbeit hinein und macht sie voller. “
Besonders geprägt in seiner Arbeit hat Satzinger der weltbekannte Cartoon Animator und Lehrer Ken Southword. Der 2007 verstorbene Engländer leitete den Unterricht in Vancouver und war ein Mentor für Satzinger. ,,Ein großartiger Künstler mit einer unglaublich langen Filmkarriere. Mit ihm habe ich mich darüber hinaus sehr gut verstanden.”
Ein besonderer Moment war es für Satzinger, als er eine Mail von Lenora Hume, der damaligen Senior Vice Präsidentin von Disney Worldwide erhielt. ,,Sie hat mir geschrieben, sie ist auf meiner Seite und versteht nicht viel weil es auf Deutsch ist, aber ob ich nicht Lust habe mit Disney zusammenzuarbeiten. Das hat dann zu nichts geführt, aber es ist eine Tür aufgegangen, ohne dass ich diese gekannt habe. Da habe ich gemerkt, das Internet ist etwas erstaunliches ”.
Zusätzlich beeinflusst haben Satzinger auch: ,,Bestimmte Filme, die ich im Schubertkino in Graz als Kind gesehen habe. Klassiker wie 101 Dalmatiner oder die Hexe und der Zauberer, Comics wie Donald Duck und Trickfilmsendungen wie Wicki und die starken Männer.
Seit 2013 lehrt Satzinger an der Fachhochschule Salzburg Studenten in analoger Animation, Animationsgeschichte und Medienanalye. Jedes Sommersemester gibt er in geblockten Einheiten zweimal pro Woche sein Wissen an die Studenten weiter.
,,Mir macht das erstens großen Spaß und zweitens sehe ich hierbei wieder den Teamworkfaktor der Branche. Sein Wissen zu teilen ist üblich. Ich versuche im Unterricht stark hervorzuheben, wie die Kunst und der Animationsfilm von unserer Geschichte im Allgemeinen, von der Kunst, Literatur und der Politik geprägt worden ist. Denn der Animationsfilm war, wenn man ihn in der Geschichte und der Entwicklung betrachtet, schon immer stark von den Umwelteinflüssen beeinflusst.”
Graz ist Satzingers Heimatstadt. Permanent dort leben, könnte er sich aber nicht vorstellen.
,,Ich bin überwiegend in Graz, aber auch viel auf Reisen. Graz ist eine gute Stadt. Es ist überheblich, wenn ich jetzt sage, die Stadt ist provinziell genug,um seine Ruhe zu haben. Denn was ist Provinz? In New York kann man so provinziell leben wie nirgendwo anders, wenn man immer die gleichen Wege hat. Da hilft auch der Broadway um die Ecke nichts.”
Satzinger schätzt die Gemütlichkeit und Sauberkeit der Stadt. Er fühlt sich umso wohler in Graz, wenn er von langen Reisen zurückkehrt. ,,Länger woanders sein bewirkt, dass man sich in Graz wieder wohler fühlt. Und in Graz fühlt man sich wohler, wenn man weiß, man muss nicht immer dableiben. Wo man sich zuhause fühlt, wird wertvoller, wenn man schön mischt und woanders hingeht.”

Satzinger's Schreibtisch - © Florian Satzinger
Reisen ist eine von Satzingers Leidenschaften. Oftmals verbindet er private Reisen mit seinem Beruf.
,,Ich nehme beispielsweise Einladungen zu Conventions oder Vorträgen an Universitäten rund um den Erdball an. Ich werde wirklich sehr viel eingeladen. Das führt dann zu Reisen die man meist anschließt oder davor macht.”
Ein besonderes und bis heute unvergessliches Erlebnis hatte er bei einer Reise nach Uruguay in Südamerika 2008. Satzinger erhielt eine Einladung von der Universität in Montevideo. Anfangs wusste er nicht, was ihn vor Ort erwarten würde.
,,Es war dann so unendlich schön. Ein fantastisches Land, eine tolle Stadt. Montevideo glaubt, von der Welt vergessen zu sein. Uruguay erinnert eher an an Portugal, Spanien oder Italien. Das Involvement der dort ansässigen Trickfilmer und Künstler, Kunstlehrer und Studenten war so groß - sie haben alles gewusst und alles gekonnt. Sie waren nicht irgendwo hinterm Berg, sondern ganz im Gegenteil. Der südamerikanische Raum hat viel mit sich selbst zu tun und braucht die globalisierte Welt nicht.“
Satzingers Lebensweg ist von Erfolgsmomenten geprägt. Trotz einiger Überlegungen würde er auch heute nichts wesentliches an seinem Werdegang verändern.
,,Gewisse Sachen hätte ich gerne früher gewusst. Ich bin dann doch erst mit 25,26 darauf gekommen, was man alles an einschlägiger Ausbildung in Bezug auf Trickfilm machen kann. Das wäre vielleicht besser gewesen. Aber dann wäre ich unter Umständen zu früh von einem Stil geprägt worden, der mich weniger authentisch oder originell hätte wirken lassen.“

Satzinger im Interview - © A. Golser
Für die Zukunft hat der bodenständige Grazer noch einige Wünsche. Doch vomberühmt sein” hält er trotz des großen Erfolgs nichts.
Satzinger begann schon vor Jahren mit der Geschichte der abenteuerlustigen New Yorker Ente John Starduck. Diese spielt in einer Welt, die der von Jules Verne ähnelt. Sein zweites Projekt handelt von einem 11-Jährigen Abenteurer namens Toby Skybuckle. ,,Diese Sachen liegen schon ewig auf meinem Tisch. Die möchte ich mir unbedingt von der Seele zeichnen.”
Eine Buchreihe sowie ein Film zu Toby Skybuckle wären interessant für Satzinger. John Starducks wurde bereits als Kurzfilm mit dem französischen Filmstudio Tigobo realisiert, auch ein abendfüllender Film wäre eine Option.
,,Man kann nur versuchen mit dieser Geschichte und Figur bei einem Filmstudio zu landen. Egal wie toll die Idee ist und wie viel Arbeit damit verbunden ist, eine Zusage ist abhängig vom richtigen Zeitpunkt und den Leuten, die dir gegenübersitzen. Für mich ist eine Verfilmung aber nicht dieser eine Traum, der dafür sorgt, dass ich beim Scheitern irgendwo griesgrämig in einer Hütte im steirischen Wald sitze und sterbe. Wenn es gelingt wäre es schön, wenn nicht, dann nicht.“
Satzinger geht es nicht vorrangig darum, Bestätigung zu erhalten und seine Figuren als Film zu sehen. ,,Ehrgeiz ist nur bis zu einem bestimmten Grad gut für die Arbeit, ein gewisser ist natürlich notwendig. Berühmt sein wollen oder etwas berühmtes zu machen, das ist nicht wichtig.“
Satzinger betont wie wichtig es ist, auch NICHT zu zeichnen um wieder Ideen zu sammeln und zur Ruhe zu kommen. In seinen 20ern sah er das noch anders: 

,,Da möchte man der Welt zeigen, was man tut. Jetzt würde ich meinen, zu reisen ist sicher der Ausgleich. Ich verbringe gerne so viel Zeit wie möglich mit Leuten, mit denen ich mich sehr gut verstehe.”
Auch ein normalen Job könnte sich der Grazer vorstellen: ,,Ich führe kein Künstlerleben. Im Grunde entscheidet sich der Beruf nur darin, was das Resultat ist.”
Satzinger wünscht sich Kinder zu haben, das Familienleben wäre mit dem Beruf gut vereinbar. In 10 Jahren sieht sich der Character Designer in einem kleinen und gemütlichen Haus in der Toskana oder in den Marken, einer idyllischen Region in Mittelitalien.

Freitag, 25. September 2015

wegmarken.talk mit Daniel Erlacher

Interview & Text: Gerald Rumpf und Vanessa Angermann, FH Joanneum, Studiengang Journalismus & PR 

Das Elevate-Festival steht vor der Tür - zehnjähriges Jubiläum für Daniel Erlacher.

Daniel Erlacher ist ein Tausendsassa. Der 38-Jährige ist IT-Spezialist, Musiker und engagiert sich in seiner Heimat Graz, aber auch EU-weit, für gesellschaftspolitische Anliegen. Seit nunmehr zehn Jahren stellt er erfolgreich das Musik- und Diskursfestival „Elevate“ auf die Beine. Wenn man mit Daniel Erlacher über seine Erfolge, Ziele und Visionen spricht, fragt man sich früher oder später: 
Wann schläft dieser Mann?

Was hast du vor dem Elevate gemacht?
Ich habe ein Geschichte-Studium auf der Karl-Franzens-Uni in Graz begonnen und Informationsmanagement auf der FH. Auf der FH war ich fast fertig, aber dann hatte ich einen Konflikt mit dem Studiengangsleiter und bin wegen einer mehrfach nicht angetretenen Prüfung kurz vor der Diplomarbeit „gegangen worden“. Danach habe ich Websites für diverse Projekte gebaut.
Veranstaltungen mache ich eigentlich schon seit 1995, aber seit 2002 mehr und intensiver. Mitte der 90er war die Pionierzeit der elektronischen Musik in Graz. Ich war sozusagen in der zweiten Runde von Leuten dabei, die sich damals engagiert haben, etwas zu machen.

Wie bist du auf die Idee gekommen, das Elevate zu machen?
Graz war immer schon eine Stadt, wo sehr viele Kooperationen passiert sind. Im November 2003, im Kulturhauptstadtjahr, ist die Idee entstanden, dass man eben nicht nur eine Party macht, sondern auch zu einem interessanten Thema diskutiert. Wir haben angefangen, auf dem Dancefloor in der Postgarage zu diskutieren, bevor wir dann die Partynacht gestartet haben. Damals hieß das Veranstaltungsformat noch „Exit Space - Music, Scenes and Political Expression“. Es war total motivierend und interessant, dass das Konzept, Diskussionen kombiniert mit Musik, so gut funktioniert.
Wir haben diese Veranstaltung sechs Mal gemacht bis inklusive 2005. Da waren Bernhard Steirer und manchmal auch Roland Oreski schon mit an Bord, meine jetzigen Elevate-Partner. 2005 kam einem aus unserer Runde die Idee, eine Art Schloßbergfest zu machen. Der Gedanke war, dass man das Konzept von „Exit Space“ nimmt, ein bisschen größer und umfangreicher macht und den ganzen Schloßberg belebt. So ist Elevate entstanden. Elevate war also eigentlich eine Erweiterung der Veranstaltungen, die wir schon lange in Graz gemacht haben.

Mehr als Tanzen: Das Elevate-Festival ist für den gesellschaftspolitischen Diskurs bekannt.

Gab es am Anfang des Elevate Schwierigkeiten oder Herausforderungen?
Das erste Festival war ja als Schloßbergfestival angelegt. Wir haben das relativ groß gedacht, hatten auch die große Kasematten-Open-Air-Bühne mit dabei und haben das an zwei Tagen im September riesig aufgezogen. Im Endeffekt hat’s nicht so geklappt mit dem Publikum — auf einmal war die Kasemattenbühne leer und damit war natürlich unser finanzielles Disaster besiegelt. Es gab sogar einen Unfall, wo wir aber nichts dafür konnten, und einer der Hauptacts hat am Abend der Veranstaltung abgesagt.
Wir hatten dann Schwierigkeiten, das erste Jahr zu überstehen. Aber wir haben es geschafft, mit Beständigkeit und einem tollen Team. Wir haben gesagt: ‚OK, da müssen wir jetzt durch, weil wir an das Konzept glauben. Wir glauben daran, dass es im Großen und Ganzen eine super Geschichte ist.‘ Wir haben dann den alten Verein abwickeln und einen Ausgleich machen müssen. Dann sind wir neu gestartet. 2006 war einfach ein schwieriges Jahr. Wir hatten aber das Glück, dass die Politik uns unterstützt hat und dass Leute an das Konzept geglaubt haben. Wir sind immer dran geblieben.
Jetzt haben wir natürlich andere Strukturen, so etwas wie 2005 kann uns nicht mehr passieren. Jetzt haben wir eine Vereinsstruktur mit einem Aufsichtsrat und einer Geschäftsführung, es gibt etwa 2 mal jährlich eine Kontrolle: Wie schaut das Budget aus? Ist das realistisch? Kann man das machen? Somit kann so etwas nie mehr passieren, dass wir in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Man kann sagen, wir haben im ersten Festivaljahr eigentlich alle harten Prüfungen überstanden, die es im Veranstaltungsgeschäft gibt.

Glaubst du, dass das Elevate Festival in den zehn Jahren seines Bestehens gesellschaftlich etwas bewirken konnte?
Ich würde sagen schon. Abgesehen davon, dass wir von einigen Folgeprojekten und Initiativen wissen, die direkt aus dem Festival heraus entstanden sind, ist für mich klar: Wenn jedes Jahr tausende Menschen zu uns kommen oder auch bei einzelnen Veranstaltungen hunderte Menschen in einem Raum sitzen, verändert sich alleine durch die Inspiration und die Gedankenanstöße viel. Der Zuspruch ist gestiegen, es kommen immer mehr Menschen, vor allem auch im Diskursprogramm, zum Elevate. Wir wissen auch zum Beispiel, dass nach den Workshops zum Thema „Community Supported Agriculture“ die Mitgliederzahlen bei einigen Initiativen um 50% gestiegen sind. Es ist wirklich konkret viel passiert. Ich glaube also schon, dass es im Bewusstsein der Menschen Einiges bewirkt.
Für mich ist aber auch wichtig, klar zu sagen: Selbst wenn nur 10 Leute in einem Raum bei einer Veranstaltung wären — du bringt ein interessantes und wichtiges Thema und inspirierst vielleicht jemanden, der drei Wochen später eine Idee hat und mit einem Freund darüber redet, und dann etwas Revolutionäres in die Welt setzt. Du kannst nie sagen, was daraus entsteht. Wichtig ist, dass man etwas macht.

Warst du immer schon gesellschaftspolitisch aktiv?
Ich glaube, ich hatte in der Schule Glück, gute Lehrer gehabt und grundsätzlich eine kritische Einstellung mit auf den Weg bekommen zu haben. Ich war gewissermaßen immer schon politisch interessiert, aber nicht als Aktivist oder in einer politischen Partei, ich komme auch nicht aus einer politischen Familie. Viel hat die Musik beitragen, der Hip Hop und die elektronische Musik in den späten 80ern und frühen 90ern. Das war schon eine Message, die mich beeinflusst hat. Konkret war sicher 9/11 für mich ein Moment, wo für mich klar wurde, dass man nicht wegschauen kann, sondern sich grundsätzlich mit geopolitischen oder überhaupt weltpolitischen Dingen beschäftigen muss. Natürlich aus einer kritischen Sicht heraus. Ich bin am 10. September 2001 aus New York weggeflogen.

Welche Schlüsselerlebnisse haben dich besonders geprägt?
Einerseits war das der erste Irakkrieg, den wir auch in der Schule behandelt haben. An das erinnere ich mich gut. Das nächste Schlüsselerlebnis war der erste Rave, generell die ersten Erlebnisse mit elektronischer Musik Anfang der 90er Jahre. Das erste eigene DJ-Set, die erste eigene veröffentlichte Platte in den Händen zu halten. Ich hatte ja einmal ein Musiklabel, das ich jetzt aber nicht mehr aktiv betreibe. Ich war früher als DJ und als Liveact tätig, habe in ganz Europa gespielt, eine US-Tournee gemacht, das war auch etwas Besonderes. 1999 habe ich ein Album veröffentlicht, zum Thema Überwachungsstaat, der Sound ist ein bisschen wild, ich warne dich vor (lacht). Früher hatte ich recht viele Auftritte und bin ein bisschen herumgekommen. Ein spezielles Schlüsselerlebnis war für mich auch 2007, als Cynthia McKinney bei Elevate zu Gast war. Sie war Präsidentschaftskandidatin bei den Wahlen 2008 in den USA für die Grünen. Die Frau kennen zu lernen und sie in Graz zu Gast zu haben, war eine große Ehre, weil ich sie durchaus als den weiblichen Martin Luther King der Jetzt-Zeit bezeichnen würde. Für mich ist sie eine der meist respektierten amerikanischen Persönlichkeiten in der Politik. Sie kennen zu lernen und dann bei der Elevate Afterparty mit ihr zu tanzen, war ein besonderes Erlebnis.

Was machst du, wenn gerade nicht Elevate ist?
Elevate ist ein Ganzjahresjob für mich. Ich arbeite das ganze Jahr an dem Festival, natürlich in unterschiedlicher Intensität. Elevate ist aber nicht nur das Festival. Wir machen auch EU-Projekte, eines ist gerade jetzt wieder aktiv, das heißt EE MUSIC (Anm.: Energy Efficient Music Culture). Wir haben auch von 2008 bis 2011 schon eines gemacht, das nannte sich Energy Union. Wir arbeiten an Projekten, in denen es um Awareness im Energiebereich und konkretes Training von Musikfestival-Veranstaltern geht. Da arbeiten wir mit Clubs in ganz Europa.
Ich engagiere mich auch im IT-Bereich, mit IT-Projekten wie g24.at (Anm.: Forum und Informationsplattform für Grazer) oder agit.DOC (Anm.: Dokumentarfilmreihe im Forum Stadtpark). Das hat irgendwie auch alles mit Elevate, mit Medien, mit Politik zu tun. Ich habe das Glück, dass aus meinen Interessensgebieten durch jahrelange Arbeit und Kooperation mein Beruf geworden ist. Das ist toll. Ich verdiene zwar nicht viel Geld (lacht), aber es ist klass, weil ich an dem arbeiten kann, was mich interessiert. Mir ist wichtig, dass ich, wenn ich schon von Steuergeld lebe, auch etwas für die Gesellschaft tue.

Erlacher im Rampenlicht: Elevate ist ein Ganzjahresjob.

Was war das größte Erfolgserlebnis in deinem bisherigen Leben?
Ehrlichgesagt, jedes Elevate Festival ist für mich ein Erfolgserlebnis. Es ist, als hättest du das ganze Jahr lang ein Vorspiel und dann hast du fünf Tage lang Sex. Da gibt’s natürlich einige Orgasmen. Man arbeitet das ganze Jahr auf diese fünf Tage hin, hat das Booklet einen Monat vorher in den Händen, quasi das Festival niedergeschrieben und komplett durchgeplant. Dann kommt die Produktion, dann kommen alle Gäste — das ist schon eine besondere Arbeitsweise. Ich bin immer wieder froh, wenn in den fünf Tagen alles klappt. Wenn bei 7000 Menschen alles gut geht, keiner stirbt, die Inspiration da ist und alle glücklich sind — das ist schon etwas Besonderes. Die Belohnung ist dann, wenn man die Gäste, die man einlädt, auch trifft. Heuer war Amy Goodman bei uns zu Gast. Ich schaue seit sieben oder acht Jahren fast täglich „Democracy now!“ (Anm.: Amy Goodman ist Mitbegründerin, Moderatorin und Produzentin von Democracy Now!) als Nachrichtensendung, und dann triffst du die Frau und umarmst sie. Das sind Momente, die einfach super sind. Oder wenn die Diskussion gut läuft — ich und meine KollegInnen moderieren ja auch selbst auf der Bühne — das ist ein großes Erfolgserlebnis. Für mich war das Festival heuer eines der inspirierendsten, die wir je gemacht haben, und in dem Sinne auch eines der größten Erfolgserlebnisse meines Lebens.
Es ist außerdem so etwas Tolles, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die nach 9 Jahren noch mitarbeiten und die alle etwas machen können, was sie auch gerne machen. Elevate ist etwas, wo man gemeinsam an einem Strang zieht und das ist für mich eine der schönsten Sachen. Das funktioniert so reibungslos, dass ich nicht mehr viel sagen muss. Jeder weiß, was zu tun ist.

Wie lange wird es das Elevate Festival in der Form noch geben?
Ich hoffe, dass das Festival so beständig ist wie der Steirische Herbst, das heißt, 40 Jahre mindestens (lacht). Es wäre natürlich schön, wenn es das Festival so lange gibt, wie es Diskussionsbedarf und das Interesse an spannenden Inhalten in unserer Gesellschaft gibt — und das ist hoffentlich immer so. Ob ich das Festival dann noch mache, ist eine andere Frage. 

Gibt es Bestrebungen, zu expandieren oder etwas zu verändern in der Zukunft?
Ja, es gibt mehrere Ideen. Es gibt Pläne, eventuell etwas Zusätzliches zu machen, beispielsweise Anfang März ein neues Format zu etablieren. Wir wollen nicht das Festival kopieren, aber vielleicht etwas Spannendes mit Musik und etwas Spannendes Diskursives machen. Das hängt natürlich bei uns als gemeinnütziger Verein davon ab, ob wir mehr Förderungen für ein erweitertes Programm kriegen. Im Endeffekt muss die Politik, aber auch die Gesellschaft entscheiden, was man macht. Ideen und Konzepte gibt es bei uns genug, daran soll es nicht scheitern. Es ist eher eine Kostenfrage. Viel Programm und viel Festival kostet auch viel Geld.
Wo wir auf jeden Fall auch wachsen wollen, ist im Ausbau der TV-Übertragungen und des Live- Videostreams. Zum Thema Expansion: Ehrlichgesagt, wir haben im Forum Stadtpark so eine super Atmosphäre, es ist nicht total überlaufen, du hast nicht so einen Stress, du hast die Möglichkeit, mit den Gästen des Festivals zusammenzusitzen, das Publikum hat die Möglichkeit, die Gäste kennenzulernen. Wir sind eigentlich sehr froh, dass wir nicht so ein überlaufenes, 10.000-Leute-Event sind wie beispielsweise die re:publica, wo die Trennlinie zwischen Publikum und Gästen viel stärker ist. Bei uns ist es sehr intim und nach wie vor sehr persönlich. Das wollen wir erhalten. Wäre echt schön, wenn das so bleibt.

Welche persönlichen Pläne hast du für die Zukunft?
Ich möchte Elevate natürlich schon weitermachen. Ich finde es spannend und mache es total gerne, von der Planung über die IT bis hin zur Moderation. Es ist ein Allrounder-Job. Auch mit diesem gut konfigurierten Team zu arbeiten ist für mich sehr motivierend. Aber ich engagiere mich zum Beispiel auch im Bereich Public Service Media (Anm.: öffentlichrechtliche Medien), habe so eine kleine Arbeitsgruppe, wo wir uns Gedanken dazu machen, was das Konzept im 21. Jahrhundert bedeutet. Dort werde ich ein wenig meiner Zeit investieren. Und es gibt noch ein anderes, neues Medienprojekt, an dem ich auch großes Interesse habe, aber das hängt davon ab, wie mein Zeitbudget ausschaut. Es mangelt also nicht an Ideen und Möglichkeiten, mehr an der Frage, was zeitlich noch machbar ist. Elevate ist eben ein ziemlich selbständiger Job. Man muss sich die Zeit selbst einteilen, man muss sich die Prioritäten selbst setzen. Natürlich habe ich auch Deadlines, muss mit dem Team arbeiten, es gibt Meetings, klar. Aber Freizeit und Arbeitszeit fließen sehr ineinander. Dafür kann ich etwas machen, was ich leidenschaftlich gern mache.

Dienstag, 22. September 2015

wegmarken.talk mit Dietmar Zach

Interview, Text und Fotos: Lucas Kundigraber & Maximilian Sommer, FH Joanneum, Studiengang Journalismus und PR.

Es gibt Menschen, die genau wissen was sie wollen. Die ihre Karriere bis ins kleinste Detail planen und verfolgen. Und dann gibt es jene wie Dietmar Zach, die den Weg als Ziel sehen und keine Scheu vor Veränderungen haben. Ganz im Gegenteil: Er steht für eine Generation die lange gesucht hat und fündig wurde.



Seinen ersten großen Traum erfüllte sich der junge Dietmar mit seinen beiden Freunden auf dem Dachboden eines großen Wirtschaftsgebäudes. Monate lang bastelten sie an ihrem eigenen Spiegelteleskop. Die Teile aus Amerika. Das Wissen aus der Schulbibliothek. Nach dem Blick in die sternenklare, ländliche Nacht, war eines klar: Dietmar wollte Astrophysiker werden.
Dann kam die Pubertät, und mit ihr die Kreativität. Als Videofilmer wollte er sich verwirklichen. Doch schon die ersten Ambitionen, ein Drehbuch an den ORF zu verkaufen, scheiterten. Ein Dämpfer. Das erste Mal in seinem Leben stimmten Wille und Erfolg nicht überein.

„Nach der Schule war ich völlig orientierungslos.“

Auf der Suche nach der passenden Ausbildung entschied er sich für ein Kolleg an der HTL. Eine Notlösung, denn das Studium wirkte zu langwierig. Der Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit war größer. Doch bald stellte sich heraus, dass Nachrichtentechnik, das Fachgebiet wofür er sich entschieden hatte, nicht das richtige für ihn war. Die Suche ging weiter und führte ihn zur EU-kaufmännischen Ausbildung. Und das zu einer Zeit, als Österreich noch nicht der Europäischen Union angehörte. Das klang verlockend, denn eine Position im mittleren Management wurde ihm in Aussicht gestellt. 

„Nach sechs Monaten Ausbildung ins mittlere Management. Was will man mehr?“

Tatsächlich schaffte er es in ein international tätiges Unternehmen aus dem Bereich der Energie- und Umwelttechnik. Doch von mittlerem Management keine Spur. Umgerechnet 900 Euro für eine Vollzeit-Stelle. Nicht genug, um eine Existenz aufbauen zu können, meinte er. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Der erste Kontakt mit einem Computer sollte seine Zukunft gravierend verändern.
Wer jung war und einen Computer einschalten könnte, müsste doch auch in der Lage sein, programmieren zu können, meinte sein damaliger Chef. So wurde er ohne jegliche Vorkenntnis damit beauftragt, eine Lagerverwaltungs-Software zu entwickeln. Ohne Vorkenntnis oder technischer Begleitung nahm er die Herausforderung an und eignete sich das dafür notwendige Wissen Schritt für Schritt selbstständig an. Mit einer klaren Erkenntnis:

“Das machte mir Spaß, da wollte ich mehr machen.”

Die Suche nach einer passenden Weiterbildung führte ihn zum BFI Schulungszentrum, wo er einen Kurs zum Systembetreuer absolvierte. Nach seinem Abschluss bekam er von seinem Ausbildner das Angebot, als Trainer tätig zu werden. Dietmar zögerte nicht und kündigte bei seiner alten Firma. Im neuen Job wurde bald klar, dass die Kleinunternehmer, die gekommen waren, um von ihm zu lernen, maßlos überfordert waren. Es häuften sich die Anfragen, ob er nicht selbst die Lösung für ihre Probleme entwickeln könnte. Das bewegte ihn dazu, gemeinsam mit seinen Kollegen die erste eigene Firma zu gründen. 

Denn was bräuchte man mehr als Kunden? 

Bald wurde ihnen jedoch klar, dass Kunden alleine noch keine erfolgreiche Firma ausmachten. Das geschäftsmännische Wissen rund um Projektleitung, Firmenführung und Finanzierung fehlte. Die Fixkosten waren zu hoch und der Kundenstamm zu klein. 10 Jahre später stellte sich das Unternehmen als Verlustgeschäft dar. Parallel wurde trotzdem eine zweite Firma gegründet. Der Fokus: Die Entwicklung einer Immobiliensoftware. Im jugendlichen Eifer akzeptierten sie ein Riesenprojekt, dass mit 1,8 Millionen Schilling dotiert war. Die Projektgröße wurde unterschätzt, das fertige Programm zwei Jahre zu spät abgegeben und als ob das noch nicht genug wäre, fanden sie heraus, dass die Konkurrenz für den selben Auftrag das zehnfache in Rechnung gestellt hätte. Für Dietmar ist heute klar:

„Im Nachhinein betrachtet war das der völlige Wahnsinn.“

Dietmar wollte sich weiter spezialisieren. Doch neben Familie und Selbstständigkeit kam ein Studium nicht in Frage. Bis er 2003 das berufsbegleitende Studium “IT und Marketing” an der FH Campus 02 in Graz entdeckte und 2004 inskribierte.
Diese Mehrbelastung führte bei einigen seiner Kollegen zu Beziehungskrisen. Dietmar konnte immer auf einen verständnisvollen und unterstützenden familiären Hintergrund zählen. Für ihn eine wichtige Konstante auf seinem Weg. 

In seinem letzten Studienjahr auf der Fachhochschule nahm er eine Stelle bei einem großen Telekommunikations-Consulting-Unternehmen als Projektleiter an. Auf einer langen Dienstreisen entstand im Gespräch mit seinem Kollegen erneut eine wegweisende Idee.
Diesmal stand die Datenerfassung in der mobilen Hauskrankenpflege im Fokus. Sein Kollege und er waren sich einig, eine bessere als die bestehende Lösung programmieren zu können. Nun war es so weit: Seine erste Firma war Geschichte. Seine dritte geboren.
Als ersten Kunden konnten sie 2008 das Hilfswerk Steiermark mit der neu entwickelten Applikation für Mobiltelefone für sich gewinnen. Sehr bald wurde der Kundenstamm groß genug, um seinen alten Job mit seinem Kollegen und neuem Partner zu verlassen. Die Dreijahresverträge mit ihren Kunden ermöglichten zum ersten Mal eine solide Planung. Eine Neuheit in Dietmars Unternehmungen. Heute nutzen über 2.500 Mitarbeiter aus verschiedensten Firmen im sozialen Bereich die von ihm entwickelte Software.

Montag, 3. August 2015

wegmarken.talk mit Werner Walisch

Interview, Text und Fotos: Raphaela Oßberger Julia Hosch, FH Joanneum, Studiengang Journalismus und PR.


Werner Walisch ist Psychotherapeut, Paartherapeut und Coach in freier Praxis in Graz – nach fast drei Jahrzehnten beruflicher Sinnsuche, sieht er sich endlich im Ziel angekommen. Vorerst.

Gleich nachdem uns ein gut gelaunter Werner Walisch die Tür geöffnet hat, beginnt es auch schon aus ihm herauszusprudeln: “Stellt euch vor, ich habe soeben die ganz überraschende und sehr erfreuliche Nachricht erhalten, dass mein Vater die goldene Ehrenmedaille der Republik erhalten hat. Unglaublich, oder?” Unglaublich ist auch der Karriereweg von Werner Walisch selbst, denn er zeigt: Es braucht keinen perfekten, geradlinigen Lebenslauf, um Erfolg zu definieren. „Der Verstand hat bei meinen Berufsentscheidungen meist den Kürzeren gezogen“, sagt Walisch rückblickend.

Nach einem abgebrochenen Jus-Studium („Ich wollte zu Beginn den sicheren Weg gehen“), einer kurzen Karriere im Rampenlicht als Gitarrist einer Rock-Band („Als Gitarrist stehst du dann doch immer in der zweiten Reihe und das wollte ich für mich in der Zukunft einfach nicht“), sechs Jahren als Leiter eines Heimes für Menschen mit Behinderung, 16 Jahren im Personalmanagement im Gesundheitsbereich und etlichen nicht geplanten Karriereschritten, ist Werner Walisch mit 51 Jahren nun dort angekommen, wo ein „innerer Ruf“ ihn stets versuchte hinzuführen.
„Normalerweise ist man ja zuerst Fachexperte und wird dann Führungskraft, bei mir war es aus freien Stücken genau umgekehrt", meint der studierte Pädagoge. „Als Gesichtsverlust habe ich das jedoch nie empfunden“, erzählt Walisch. 2009 machte er sich schließlich mit seiner psychotherapeutischen Praxis in Graz selbstständig. Bis zu diesem Zeitpunkt war er bereits viele Jahre in der Personalentwicklung der KAGes tätig, etablierte dort in den letzten Jahren seiner Tätigkeit eine psychosoziale Beratungsstelle.

„Ich habe mich schon immer für die Geschichten von Menschen interessiert“, erklärt Walisch. Jedoch war eine stetige Unruhe, in den vergangenen Jahrzehnten, sein ständiger Begleiter: „Ich habe immer das jeweilige Ziel vor Augen gehabt, es erreicht und dann gemerkt, dass es das noch nicht ganz gewesen sein kann. Die Sehnsucht nach ‚Mehr’ war immer da. Ich stellte mir also die Frage, wie es mir gehen würde, mit 70 zurückzublicken und zu erkennen: ‚Das wäre mein beruflicher Wunschtraum gewesen, aber ich habe es nie gemacht.‘ So kann ich mir selbst sagen, dass ich es wenigstens versucht habe.”

Auf der Suche nach beruflicher Erfüllung ist Walisch den ein oder anderen Umweg gegangen. Doch auch skurril wirkende Abstecher wie der Job als Hilfsarbeiter in einer Fensterfabrik, um sich das Musikerleben zu finanzieren, oder die Kandidatur als Nationalratsabgeordneter für den Bezirk Radkersburg bei der Nationalratswahl 1990, hätten im Nachhinein ihr Gutes: „Jede berufliche Erfahrung aus der Vergangenheit hilft mir jetzt, meinen Job gut zu machen. Im Nachhinein machen Dinge oft Sinn, auch wenn man es im Moment noch nicht erkennen kann. Und so gibt es sogar heute noch immer wieder Momente, wo es für mich von Vorteil ist, bei einer Band gewesen zu sein“, sagt Walisch schmunzelnd.
Den „inneren Ruf“, wie er es so schön nennt, kann er momentan nicht mehr hören, weil er angekommen sei. „Ich wollte immer nur etwas Sinnvolles machen, einen positiven Unterschied für Menschen, mit denen ich arbeite, bewirken – und das kann ich mit dem, was ich jetzt tue."


Die Autorinnen über ihre persönlichen Schlüsselmomente im Leben: 

Julia Hosch:
Vor meinem jetzigen Studium habe ich Pharmazie studiert, da ich den „sicheren Weg“ gehen wollte, und quälte mich fünf Semester lang durch ein zwar interessantes, aber für mich nicht passendes Studium. Nach einem erneuten „Fleck“ auf eine Prüfung, auf die ich mich wochenlang vorbereitet hatte, beschloss ich über Nacht mein Studium an den Nagel zu hängen und ein Praktikum bei einer Zeitung zu beginnen. Die beste Entscheidung meines Lebens.

Raphaela Oßberger: Ein Schlüsselmoment in meinem Leben war bestimmt die Entscheidung, für ein Semester in Norwegen zu studieren. Dadurch erweiterte sich mein Horizont in vielerlei Hinsicht enorm und es zeigte mir, wohin ich nach dem Studium an der FH JOANNEUM einmal gehen möchte. Hätte ich dieses Abenteuer nicht gewagt, wäre ich heute wohl ein ganz anderer Mensch. Und weil es mir dort so sehr gefallen hat, sehe ich mich in einem Jahr in einem Hörsaal einer norwegischen Universität.

Dienstag, 14. Juli 2015

wegmarken.talk mit Kati Drescher

Interview und Fotos: Tina Peinhart & Lisa Putz, FH Joanneum, Studiengang Journalismus und PR

Sie führt den biologischen Lebensstil schon seit Jahrzehnten und motiviert ihr Team jeden Tag aufs Neue, Themen aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Als ehemalige Fernsehredakteurin war Kati Drescher maßgeblich am Aufbau des Musiksenders VIVA TV beteiligt. Danach verbrachte sie einige Zeit in New York und war als freie TV-Autorin für die Sender VIVA TV, ARD, MDR und RTL mit Fokus auf die Bereiche Stars & Mode tätig. 

Geschäftsführerin der PR-Agentur sieben&siebzig

 1. Frau Drescher, wir haben aus Ihrer Homepage entnommen, dass Sie Fernsehredeakteurin waren - wie ist es dazu gekommen? Hatten Sie schon als Kind diesen Berufswunsch?
Nein, ich hatte nicht schon von Kind auf den Wunsch, Fernsehredakteurin zu werden. Als sich das entwickelt hat, war ich noch sehr jung. Ich war 20 und habe vor der mündlichen Prüfung des Abiturs im Urlaub jemanden kennengelernt, der für RTL gearbeitet hat. Ich habe mich mit ihm angefreundet und war später bei ihm in Köln. Dort habe ich dann bei RTL jemanden im Flur getroffen, der auf der Suche nach einer Praktikantin war. Ich habe zugesagt und somit war der Praktikantenjob der erste, den ich bei RTL gemacht habe. Und schon nach einem halben Jahr habe ich die Produktion bereits übernommen und selbst geleitet. Später, als mir bewusst wurde, dass ich das, wofür der Sender steht, insgesamt nicht so cool finde, bin ich aber ausgestiegen. Ich wollte eigentlich etwas anderes machen, aber dann kam der Fernsehsender VIVA und hat mich gefragt, ob ich dort arbeiten möchte. Das war ganz am Anfang des TV-Senders, das Team war noch sehr klein. Ich habe den Sender für zwei Jahre mit aufgebaut, und bin für VIVA und andere Fernsehsender nach Amerika gegangen und habe dort eine Weile gearbeitet.

2. Wie würden Sie Ihre Zeit als freie TV-Autorin in New York beschreiben?
Das war insgesamt auf jeden Fall eine sehr, sehr gute Zeit. Musikfernsehen war in der damaligen Zeit eine große Nummer. Es gab nur MTV – weltweit eigentlich. Als deutscher bzw. europäischer Musiksender-Vertreter wurde man dort mit wahnsinnig weiten Armen empfangen. Ich hatte zu Kölner VIVA-Zeiten eine Sendung über Models und bin eben dafür nach New York gegangen. Dort habe ich sehr viele Model-Geschichten gemacht und bekam dadurch auch einen sehr schnellen Einstieg in die spaßige Szenerie. Man muss dazu sagen, dass ich in New York auch viel Spaß gehabt habe – sicherlich mehr, als ich gearbeitet habe. (lacht)

3. Der Sprung von der Fernsehredaktion mit Fokus auf die Bereiche Stars & Mode zur Geschäftsführerin einer PR-Agentur, die ausschließlich für die Biobranche tätig ist, erscheint uns ein großer zu sein. Was hat Sie dazu gebracht, diesen Weg einzuschlagen?
Naja, man springt ja nicht vom einen zum anderen. Das ist definitiv ein langer Weg, den man zurücklegt. Auf diesem Weg habe ich festgestellt, dass mir das eine oder andere besser gefällt und mir manche Dinge weniger gut gefallen. Genauso wie ich nicht weiter bei RTL arbeiten wollte, habe ich festgestellt, dass die Jugendverdummung, zu der VIVA leider relativ schnell herangewachsen ist, auch nicht mehr das Feld ist, in dem ich gerne arbeiten möchte. Danach habe ich für eine gewisse Zeit Filmproduktions- und Regieassistenz gemacht. Die eigentliche Entwicklung fand aber statt, als ich den Vater meiner Tochter kennengelernt habe, der biologisch-dynamischer Landwirt war und auch heute noch ist. Zu der Zeit wurde ich erstmals mit dem Bio-Thema konfrontiert. Als ich dann ein Kind bekam, hatte ich eine noch kritischere Sicht auf die Dinge. Es machte für mich dann viel mehr Sinn, mein Kommunikationspotential - das ich vermutlich schon immer hatte - in einem Feld einzusetzen, wo ich auch das Gefühl habe, dass es positive Effekte hat. Ich habe beispielsweise lange Zeit für eine große Brauerei gearbeitet und mir dort irgendwann auch gedacht, dass ich den Leuten nicht unbedingt immer sagen will, dass sie mehr Bier trinken und sich "abschießen" sollen. Ich habe jetzt zwar auch einen Bier-Kunden, aber dieser vertreibt ein amerikanisches Slow-Food-Bier. Es ist zwar mit Alkohol, aber nicht zum Durstlöschen gedacht.

4. Gab es auch ein ausschlaggebendes Ereignis in Ihrem Leben, das Sie zum Schritt in die Selbstständigkeit geführt hat?
Ein ausschlaggebendes Ereignis gab es nicht. Auch das war, wie gesagt, eine gewisse Entwicklung. Ich wurde allerdings nie gerne beobachtet bei der Arbeit – das ist aber eher eine persönliche Eigenheit. Ich konnte eben nicht so gut arbeiten, wenn andere mir Anweisungen erteilten, vermutlich hat mich das auch in die Selbstständigkeit getrieben.

5. Haben Sie das Gefühl, beruflich angekommen zu sein oder gibt es Stationen und Ziele, die Sie noch erreichen möchten? Ich bin mir sicher, dass ich die richtige berufliche Entwicklung vollzogen habe. Mit den Gesetzen dieser Branche und meines Berufs stelle ich fest, dass ich viel dazu beitragen kann und auch schon beigetragen habe, eine positive Entwicklung zu unterstützen. Es gibt aber natürlich noch zusätzlich Dinge, die ich machen und erreichen möchte. Ich mache zum Beispiel Teppiche - das ist sozusagen mein kleines Neben-Business, das manchmal mehr und manchmal weniger Energie in Anspruch nimmt. Und auch in der Agentur steht man regelmäßig vor Herausforderungen. Es gibt ständig Dinge, die ich noch machen möchte. Aber ich gehe nicht davon aus, dass ich nochmal komplett das Segment bzw. die Branche wechseln werde.

6. Im Rahmen Ihrer Tätigkeiten innerhalb der Agentur haben Sie weitere Projekte wie Marie Meers und den Eco-Showroom ins Leben gerufen. Das klingt nach viel Zeitaufwand. Wie wirkt sich die Liebe zum Job auf Privates aus?
Ich möchte bei meinen Projekten auch noch die Slow-Living-Konferenz anmerken. Das ist eine Konferenz, die wir dieses Jahr zum ersten Mal veranstaltet haben und die es auch im nächsten Jahr wieder geben wird. Man setzt sich mit dem Thema Nachhaltigkeit unter dem Titel Slow Living auseinander. Hintergrund ist, dass der Begriff Nachhaltigkeit mittlerweile schon so ausgefranst und nicht mehr klar definierbar ist, da er in so vielen Facetten genutzt wird. Jetzt zur eigentlichen Frage! (lacht) Natürlich - es ist immer mit Zeitaufwand verbunden, wenn man ein wenig ambitioniert und engagiert ist. Aber ich habe zum Glück auch ein großartiges Team! Wir sind zu acht und ich bin daher mit den ganzen Projekten nicht vollkommen allein. Da kann ich die ganzen Projekte, die ich neben meiner Arbeit habe, schon relativ gut organisieren.

7. Wie sieht ihr Tagesablauf aus?
Ich stehe morgens auf und gehe abends ins Bett - dazwischen passiert ganz viel. (lacht) Ich habe ja eine Tochter und wir leben in Potsdam. Ich habe also relativ viel Reisezeit, die ich Tag für Tag zurücklegen muss. Daher muss mein Tag hier in Berlin gut durchgeplant sein, damit sich auch alles immer unter einen Hut bringen lässt. Ich bin gut organisiert, was das alles sehr erleichtert.

Kati Drescher ist gut organisiert.
 
8. Der wegmarken.blog hat das Ziel, Menschen zu inspirieren und Mut zu geben, genau DER Arbeit nachzugehen, die für sie die richtig ist. Aber wie findet man heraus, was das Richtige für einen ist?
Man muss sicherlich das eine oder andere ausprobieren. Es ist auch immer gut, hohes Engagement in die Sache zu setzen, die man macht. Ob sie am Ende die richtige ist, kann man davor nie sagen. Mir ist es zumindest oft so ergangen, dass ich Dinge gemacht habe, von denen ich anfangs nicht einmal eine Ahnung hatte. Dadurch, dass ich mich dann aber mit den Themen beschäftigt habe und mich mit ihnen identifizieren konnte, ist der Spaß an der Arbeit entstanden. Bei mir ist das generell so: Bei jedem Thema, in das ich mich einlese und einarbeite, finde ich einen Bereich, der mir viel Freude bereitet und darüberhinaus auch Türen und Gedanken zu neuen Dingen eröffnet. Deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, sich innerhalb der Berufswahl, die man getroffen hat, zu engagieren. Ich glaube auch, dass sehr viele Menschen ihre Tätigkeiten nur halbherzig machen, was in weiterer Folge sicherlich nicht zum Erfolg führen kann. Das finde ich sehr schade, denn im Endeffekt sitzt man so in der Arbeit dann nur seine Zeit ab. Und so viel Zeit haben wir eigentlich nicht. Damit meine ich jetzt nicht, dass man innerlich hektisch sein muss - aber das, was macht, sollte man mit größtmöglichen Engagement machen. Nur so kann man hinterher auch entscheiden, ob dieser Job oder diese Tätigkeit etwas für einen ist oder eben nicht.

9. Was hat Sie bei der Gründung Ihres Unternehmen so sicher gemacht, das Richtige gefunden zu haben? Ich habe mich gar nicht so bewusst selbstständig gemacht, das hat sich eher ergeben. Selbstständig gearbeitet habe ich zwar schon immer, aber in die Selbstständigkeit bin ich eigentlich ein wenig hineingeschlittert und danach hineingewachsen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich auch heute noch Tag für Tag in das Selbstständig-Sein hineinwachse. Es tauchen jeden Tag Fragen auf, bei denen ich mir denke, dass ich sie als Unternehmerin eigentlich beantworten können sollte, aber ich finde es gar nicht schlimm, wenn man vorher nicht alles weiß. Ich habe auch nie studiert - das ist etwas, das viele Leute glauben: Man muss studiert haben, um gewisse Dinge zu können – wie zum Beispiel sich selbstständig zu machen. Das glaube ich gar nicht, man muss sich nur für die Dinge interessieren. Wenn ich mir Bewerbungen angucke, bemerke ich das auch immer. Lebensläufe und Noten interessieren mich überhaupt nicht. Entscheidungen darüber, wer bei uns arbeitet, treffe ich persönlich. Außerdem bin ich der Meinung, dass jeder auch einmal eine neue Chance benötigt, um sich für etwas engagieren zu können. Noten sind darüber hinaus kein Richtwert und daher total irrelevant. Ich wusste auch erst während meiner Selbstständigkeit, dass ich das Richtige mache. Zum Glück musste ich damals keine finanziellen Mittel aufnehmen, das ist in der Kommunikationsbranche ein enormer Vorteil. Außer einem Büro, das ich mir nach geraumer Zeit anmieten wollte, brauchte ich nur einen Computer und meinen Mund.

10. Wie entstand der Agenturname sieben&siebzig? Das hat mit meinem Geburtstag zu tun - ich bin am 7.7.70 geboren. Wenn man so ein Geburtsdatum hat, hört man als Kind immer: "Oh, was für ein tolles Geburtsdatum". Die Sieben hat daher viel mit mir zu tun und ist noch dazu eine Zahl, die in der Anthroposophie nicht unwichtig ist. Sie ist mit rhythmischen Abläufen in Verbindung zu bringen und eine sehr mystische Zahl. Daher fand ich das ganz passend.

11. Berufliche Umorientierung ist ein heikles Thema. Viele Personen wagen es – vor allem im höheren Alter – nicht mehr, sich beruflich neu zu orientieren. Welchen Ratschlag würden Sie Personen geben, die unzufrieden mit ihrem Job sind?
Man muss davor natürlich herausfinden, was zu einem passt. Vor allem wird man im Alter zunehmend unsicherer. Wenn man dann noch nicht den richtigen Job für sich gefunden hat, ist das natürlich ungünstig. Daher sollte man im besten Fall schon in jungen Jahren viel ausprobieren und so viel Erfahrung wie möglich sammeln - seine Zeit eben nutzen.

12. Sie haben in einem Interview im Online-Magazin makeyourselfmove davon gesprochen, dass bei Ihnen die Motivation am Arbeiten selten verloren geht - welche Faktoren tragen dazu bei, dass man auch nach Jahren noch Spaß an seinem Beruf hat?
Das ist bei mir einfach so. (lacht) Auch wenn ich zu einem „blöden“ Termin gehen muss, habe ich total Bock drauf. Es ist immer etwas anderes, ich mache nie das Gleiche. Ich habe immer mit anderen Kunden zu tun, entwickle neue Ideen zur Kundenpositionierung, überlege, welche Veranstaltungen man organisieren kann und so weiter. Auch die Kunden kommen ständig mit unterschiedlichen Produkten und Zielen: Die einen wollen einen neuen Online-Shop, die anderen wollen sich im Fashionsegment positionieren, obwohl sie in Wirklichkeit Molkereiprodukte anbieten. Es gibt immer wieder neue und spannende Projekte in meinem Beruf. Meist kann man gemeinsam gute Ideen entwickeln und darauf freue ich mich immer wieder. Ich freue mich interessanterweise auch auf jede E-Mail, die ich bekomme, weil ich dann mit einer neuen Fragestellung konfrontiert werde. (lacht)

13. Woran erkennt man, dass man seinen Traumjob gefunden hat?
Wenn man, so wie ich, enormen Spaß an der Arbeit hat. Ich arbeite total gerne!

14. Wie würden Sie folgenden Satz vervollständigen: Ich liebe meinen Job, weil...
…er sehr abwechslungsreich ist. Und er mir darüber hinaus die Möglichkeit bietet, mit meinen Fähigkeiten etwas für die Welt zu tun, ohne Leute auf der Straße zu irgendwelchen Unterschriften für Petitionen oder ähnliches überreden zu müssen. Das ist meine Art, wie ich versuche, etwas für die Welt zu tun - neben anderen Sachen, wie privaten Aktivitäten. Meine Arbeit ist mein positiver Beitrag zur Welt.


Auch Tina Peinhart und Lisa Putz lassen sich vom positiven Beitrag zur Welt motivieren: Lisa Putz sieht ihre persönliche Gemeinsamkeit zur Interviewpartnerin darin, auch den 0815-Aufgaben und Herausforderungen mit Freude zu begegnen. Tina Peinhart hat ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein und fühlt sich von Themen der Nachhaltigkeit angeprochen - so war sie sofort von der Geschichte Dreschers begeistert. Die beiden Studentinnen des Studiengangs Journalismus und PR (FH Joanneum Graz) führten das Interview in Berlin.

Dienstag, 26. Mai 2015

wegmarken.talk mit Dagmar Bojdunyk-Rack

Interview, Text und Video: Theresa Wakonig und Sandra Reischl


Dagmar Bojdunyk-Rack ist die Geschäftsführerin vom Verein Rainbows. Sie hat in ihrem stürmischen Beruf Erfüllung gefunden und teilt ihre Gedanken mit uns.

Mit einem strahlenden Lächeln begrüßt sie uns um acht Uhr Früh zum Interview. „Baut ruhig einmal die Kamera auf, und meldet euch, wenn ihr fertig seid. Ein Glas Wasser?“ Die Stimmung in der Regenbogen-Wohnung ist heimelig. Nach dem Eingang ist links ein Regal mit Hauspatschen, die Räume sind farbenfroh und mit Bildern verziert. Man fühlt sich hier wohl.

Wir interviewen Dagmar Bojdunyk Rack in der gemütlichen Sitzecke im Regenbogenzimmer. Warum wirkt sie so zufrieden? Was macht sie so entspannt in einer Arbeit mit Kindern, die jede Woche mit Wut, Trauer oder Depression zum Verein kommen?



Dagmar Bojdunyk-Rack wurde am 22. Mai 1964 in Bad Ischl geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. In ihrer Kindheit hat sie sehr viel Zeit mit den Nachbarskindern in der Natur verbracht. Das war – aus heutiger Sicht – eine sehr unbeschwerte Zeit mit sehr vielen Freiheiten. Als Kind war ihr Berufswunsch Lehrerin - und das hat sie in der ersten Station ihres Berufslebens auch umgesetzt.

Nachdem Dagmar Bojdunyk-Rack in Bad Ischl Volksschule und Gymnasium besucht hat, kam sie nach Graz zum Studieren. Zuerst machte sie das Lehramt für Volksschule und Sonderschule, dann hat sie eine Zeit lang als Lehrerin gearbeitet. Danach begann sie noch das Studium für Pädagogik und Fächerkombination. Auch Zusatzausbildungen wie Personal- und Organisationsentwicklung und die Unternehmerakademie sind Teile ihres Lebensweges.

Seit September 1999 ist Dagmar Bojdunyk-Rack Geschäftsführerin beim Verein Rainbows. Rainbows unterstützt Kinder und Jugendliche nach Trennung oder Scheidung der Eltern oder dem Tod naher Bezugspersonen. Die Motivation dafür liegt praktisch auf der Straße, wie Frau Mag. Bojdunyk-Rack im Video erzählt. Wir fragen sie, wie es ihr mit dieser Arbeit geht, wie sie zu diesem Beruf gekommen ist und was sie jungen Menschen für die Berufswahl raten würde.



Theresa Wakonig und Sandra Reischl nähren sich in diesem Beitrag dem gesellschaftlich relevanten Thema Scheidung und den Konsequenzen, die nicht selten von den Kindern getragen werden. Wakonig über die Interviewpartnerin: "Ein Detail aus ihrem Leben, das mich fasziniert, ist, dass sie selbst eine glückliche und unbeschwerte Kindheit hatte. Mit dem Wunsch, Lehrerin zu werden, lagen ihr Kinder immer schon sehr am Herzen. Sie hat Erfüllung in einem Beruf gefunden, in dem sie Kindern zur Seite steht."